15.06.2023
Engel/KTM

Mit „Frittenfett-PP“ zum Tape-Sandwich-Strukturbauteil

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Lesedauer: 6 Minuten.

Ein Motorradsitzbankboden, produziert im neuen Tape-Sandwich-Verfahren, war eine Weltpremiere, die die beiden Entwicklungspartner Engel und KTM Technologies anlässlich der „Engel Mobility Days 2023“ am Mittwoch in Linz vorstellten. Das neue Verfahren vereint eine höhere Steifigkeit bei einem kompakteren Bauteildesign und niedrigerem Gewicht mit einer hohen Kosteneffizienz in der Herstellung. Die neue Composite-Technologie kann über die Entwicklungspartner auch bei anderen Unternehmen zur Anwendung kommen.

KTM-Motorräder machen den Anfang. Darüber hinaus steht die neue Tape-Sandwichtechnologie auch anderen Unternehmen der Mobilitätsbranche zur Verfügung (Foto: KTM Technologies).

Ziel der gemeinsamen Entwicklungsarbeit war es, einen Sitzbankboden für Motorräder bei mindestens gleichen Bauteileigenschaften kompakter und leichter zu gestalten. „Wir bringen im Fahrzeug immer mehr Elektronikkomponenten unter und brauchen dafür Platz“, erklärt Hans Lochner, Teamleiter Material and Applications von KTM Technologies in Anif, einem die Herausforderung. Durch die Elektrifizierung der Antriebe betreffe dieser Trend nicht nur Zweirad-OEMs, sondern die gesamte Mobilitätsbranche, so der Experte des Spezialisten für die Konzeptentwicklung mit Fokus auf E-Mobilität, High-Performance- und Lightweight-Technologien.

Um neben den technischen Vorteilen einen Mehrwert für die Massenmärkte zu bieten, braucht es ein kosteneffizientes Produktionsverfahren. Engel und KTM Technologies bündeln hierfür ihre Kompetenzen. Engel bringt seine Expertise für Leichtbauproduktionstechnologien und Industrialisierung ein, KTM Technologies zeichnet für Konzeption und die produktspezifische Technologieentwicklung verantwortlich. Dritter Partner im Bunde ist das belgische Werkzeugbauunternehmen Feronyl.

Bisher sind die Sitzbankböden der KTM-Motorräder rein thermoplastische Spritzgussteile. Die erforderliche Steifigkeit wird durch geometrische Versteifung – zum Beispiel über Rippen – erzielt, was zu einer relativ hohen Bauteildicke von bis zu 9 mm führt. Um den notwendigen Bauraum zu reduzieren und mehr Platz für die Elektronik zu schaffen, nahm KTM Composite-Materialien und Produktionsverfahren unter die Lupe und setzte gemeinsam mit Engel einen Produktionsprozess auf, der sich durch eine besonders hohe Effizienz auszeichnet. Das Ergebnis ist die Tape-Sandwich-Technologie.

Zwei Drittel mehr Bauraum bei identischer Steifigkeit

Bisher sind die Sitzbankböden der KTM-Motorräder rein thermoplastische Spritzgussteile mit geometrischer Versteifung zum Beispiel über Rippen und bis zu 9 mm dick. Das Tape-Sandwich reduziert den Bauraum und selbst bei Einsatz fossilen PP den GWP-Wert um 27 % (Foto: KTM Technologies).

„Wir arbeiten im Tape-Sandwichprozess mit sehr dünnen, einlagigen Verstärkungsmaterialien wie zum Beispiel Tapes und Geweben mit Polypropylenmatrix, die ohne Vorwärmen in beide Kavitätenhälften des Spritzgießwerkzeugs eingelegt werden, bevor die Kavität mit Polypropylen gefüllt wird“, erklärt Franz Füreder, Vice President Automotive & Mobility von Engel. „Aufgrund der spezifischen mechanischen Eigenschaften des Sandwichaufbaus können wir bei den Motorradsitzbankböden bereits mit einem einlagigen UD-Tape die erforderliche Steifigkeit erfüllen. Damit benötigt das Tape-Sandwich-Verfahren deutlich weniger Energie und eine einfachere Anlagentechnik als herkömmliche Verfahren der Faserkunststoffverbundverarbeitung. Die Produktionskosten können somit deutlich reduziert werden.“ Der Stoffschluss zwischen Tape und Matrix erfolge ohne vorheriges Aufheizen der Faserstrukturen und allein durch die Wärme der Schmelze, unterstrich Hans Lochner.

Beim vorliegenden Technologiedemonstrator Sitzbankboden konnten bei identischer Steifigkeit der notwendige Bauraum auf diese Weise um 66 % und das Gewicht um ca. 26 % reduziert werden. „Der neue Sandwich-Aufbau, bei dem die Verstärkungsfasern einen möglichst hohen Abstand zur neutralen Faser haben, bietet eine maximale Steifigkeit bei gleichzeitiger Minimierung des notwendigen Fasereinsatzes“, so Hans Lochner. Ein weiterer Vorteil des Sandwich-Aufbaus ist, dass Standardthermoplaste in mechanisch hochbeanspruchten Bauteilen zum Einsatz kommen können, da die Leistungsfähigkeit des Bauteils ausschließlich über die Tape-Struktur gesteuert wird. Auch das steigert die Kosteneffizienz. „Wir können es uns leisten, Recycling-Materialien einzusetzen, ohne Einbußen in der Mechanik befürchten zu müssen“, unterstrich Lochner, „wir kommen quasi mit einem Frittenfett-PP zu einem strukturellen Bauteil.“

Global Warming Potential sinkt um bis zu 85 Prozent

Beim Tape-Sandwichprozess werden sehr dünne, einlagige Tapes oder Gewebe mit PP-Matrix ohne Vorwärmen in beide Kavitätenhälften des Spritzgießwerkzeugs eingelegt. (Foto: KTM Technologies).

Die Entwicklungspartner haben unterschiedliche Spritzgießmaterialien getestet, neben herkömmlichem PP aus fossilen Quellen auch biobasierte und rezyklierte PP-Typen. Für die unterschiedlichen Materialkombinationen wurde jeweils das Treibhauspotenzial (Global Warming Potential, GWP) ermittelt. Im Vergleich zum Serienstand – vollständig aus fossilem PP hergestellte Sitzbank – wird mit der Tape-Sandwich-Technologie beim Einsatz von ebenfalls fossilem PP der GWP-Wert um 27 % reduziert. Dieser Wert wird ausschließlich durch die Materialreduzierung erreicht. Mit Polypropylen aus nachwachsenden Quellen sinkt der GWP-Wert um 85 %. Das Bauteilgewicht wurde jeweils um 26 % reduziert. Dies ist möglich, weil bereits sehr dünne Bauteile eine hohe Steifigkeit erreichen.

Zur Reduktion der Treibhausgase trägt in der Gesamtbetrachtung zudem der konsequente Monokunststoffansatz bei. In Kombination mit Tapes mit einer PP-Matrix entstehen Bauteile, die sich am Ende ihrer Nutzungsdauer rezyklieren lassen. „Mit der neuen Entwicklung eröffnen wir für die Mobilität der Zukunft eine bezahlbare und nachhaltige Lösung“, betont Franz Füreder.

In einem ersten Schritt wird die Tape-Sandwich-Technologie für Motorradkomponenten der KTM-Familie eingesetzt. Darüber hinaus haben Engel und KTM viele weitere Leichtbauanwendungen in den unterschiedlichsten Mobilitätsdisziplinen im Blick. Die beiden Entwicklungspartner bieten das Tape-Sandwich-Verfahren gemeinsam an und entwickeln auf die jeweilige Anwendung passgenau zugeschnittene Lösungen.

Mobility Days stärken branchenübergreifendes Netzwerken

Michael Fischer, Leiter Business Development Technologie bei Engel, Hans Lochner, Teamleiter Material and Applications von KTM Technologies, Franz Füreder, Vice President Automotive & Mobility von Engel, und Engel-CEO Dr. Stefan Engleder (v.l.) bestritten die Fachpressekonferenz bei den Mobility Days in Linz (Foto: K-AKTUELL.de).

Engel und KTM Technologies haben die zweitägigen Mobility Days gemeinsam organisiert. Das Netzwerk-Event führte mehr als 600 Kunden und Interessenten von Engel u.a. aus den Branchen Automobil, Mikromobilität, Luftfahrt sowie Transport nach Linz und St. Valentin in Österreich. Mit einem hochkarätigen Konferenzprogramm und zukunftsweisenden Maschinenexponaten sollte die Veranstaltung den branchenübergreifenden Erfahrungsaustausch stärken.

www.engelglobal.com
www.ktm-technologies.com

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