Das branchenübergreifende Technologiebündnis in der Wirtschaftsregion Erzgebirge legt einen Fokus auf die Funktionalisierung von Werkstoffverbunden. Eins von zahlreichen Projekten befasst sich mit der Einbettung mikroelektronischer Systeme in Kunststoff.
Kunststoffe, in denen funktionierende mikroelektronische Systeme schon eingebettet sind, würden neue Möglichkeiten bieten, bspw. Handys, die viele Funktionen bereits im Gehäuse in sich tragen, mobile Systeme mit zigfacher Kapazität, Technik, die bei gleicher Leistungsfähigkeit und doppelter Stabilität nur ein Fünftel des Gewichtes auf die Waage bringt, oder schnelle Produktionsprozesse, wie sie heute nicht vorstellbar sind. An der Verwirklichung solcher Zukunftsvisionen arbeiten aktuell Unternehmen aus dem Erzgebirge gemeinsam mit dem Institut für Strukturleichtbau der Technischen Universität Chemnitz im Projekt Struktronik – einem von 16 Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, die über SmartErz koordiniert werden.
Wenn Jens Emmrich von den künftigen Möglichkeiten der Technologie berichtet, gerät er ins Schwärmen. Der promovierte Ingenieur ist Forschungsbereichsleiter für aktive Werkstoffe und Verbundstrukturen am Lehrstuhl für Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung der TU Chemnitz. Er koordiniert das Projekt Struktronik, in dem seit Ende 2021 erzgebirgische Unternehmen und die Wissenschaftler der Universität zusammenarbeiten. Neben der TU bringen sich die Bernd Flach Präzisionstechnik GmbH & Co. KG aus Schönheide, die EDC Electronic Design Chemnitz GmbH, die Zwönitzer Komitec electronics GmbH und der Leiterplattenhersteller KSG GmbH aus Gornsdorf in das Projekt ein. Der Verbund SmartErz liefert mit seinen Forschungsprojekten wie Struktronik eine geeignete Plattform zur stärkeren Kooperation erzgebirgischer Unternehmen.
Einbettung statt nachträglicher Montage
„Wir wollen mikroelektrische Systeme in thermoplastische Verbundwerkstoffe einbetten. Dadurch wird deren Funktionalität immens gesteigert“, erklärt Projektkoordinator Emmrich. Bisher wurden die Elektronikkomponenten nachträglich in die Bauteile montiert. Konventionelle Leiterplatten sind nicht verformbar. „Das macht Konstruktion und Fertigung oft sehr herausfordernd. Darüber hinaus ist ein 100-prozentiger Schutz der empfindlichen Technik bei dieser Methode fast nicht möglich. Das wollen wir ändern.“ Basis dafür bilden sogenannte Organobleche, in die die Mikrosysteme direkt während der Herstellung eingebracht werden. „Dadurch entstehen quasi strukturtragende Leiterplatten, die in Großserien gefertigt und zu Bauteilen weiterverarbeitet werden können. Wir entwickeln gerade ein hochfunktionales Demonstrationsbauteil, um zu zeigen, was alles möglich ist“, ergänzt sein Kollege Ricardo Decker, der ebenfalls an der TU forscht.
Mögliche Anwendungen sind so vielfältig wie spektakulär. Besonders im Leichtbau und in der Elektromobilität sieht Dr. Emmrich den künftigen Einsatz. In Gehäusen könnten zusätzliche Funktionen verbaut und Metalle ersetzt werden. Ziel von Struktronik ist eine großserienfähige Technologie.
Branchenübergreifende technologische Kompetenz
Alle Projektpartner bringen eine große technologische Kompetenz mit, so dass der Erfahrungsschatz der Beteiligten zu soliden Lösungsansätzen führt. Durch den Einblick in die anderen Fachbereiche weiten sich Blickwinkel. Die beteiligten Unternehmen haben verantwortliche Mitarbeiter für das Projekt abgestellt. Der finanzielle Umfang inklusive der Eigenanteile der Projektpartner aus der Wirtschaft ist siebenstellig. Regelmäßig tauscht man sich über den Fortgang der Arbeiten aus. Bisher wurden im Projektteam Grundlagenuntersuchungen wie Materialauswahl und Prozessanpassung durchgeführt und ein erster Prototyp gefertigt.
Bernd Flach Präzisionstechnik ist Spezialist im Kunststoffspritzguss. Für Automobilzulieferer, die Konsum- und Kosmetikindustrie und die Elektrobranche stellt das Schönheider Unternehmen Produkte aus Thermoplast her. Ein besonderer Schwerpunkt liegt in der Verarbeitung von Kunststoffen mit hohen Glasfaseranteilen. Geschäftsführer Steffen Flach resümiert: „Wir verfügen über Erfahrungen aus anderen Projekten mit wissenschaftlicher Beteiligung durch die TU Chemnitz und die Fraunhofer-Gesellschaft, wissen also, dass man nur erfolgreich ist, wenn entsprechende personelle und finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden. Wir beteiligen uns bei Struktronik in der Erwartung auf neue Geschäftsfelder und neue Technologien, wenn das Projekt erfolgreich ist.“
Die EDC Electronic Design Chemnitz entwickelt integrierte Schaltkreise und elektronische Systeme. In das Projekt bringt das Unternehmen sein Know-how im Schaltungsdesign und -layout ein.
Von der Entwicklung bis zur endgefertigten und funktionsgeprüften elektronischen Baugruppe bildet Komitec electronics die komplette Bandbreite eines EMS-Dienstleisters (Electronic Manufacturing Services) ab. „Im Projekt sind wir verantwortlich für die Bestückung und Lötung von Leiterplatten, die nicht auf den herkömmlichen Standardmaterialen beruhen. Dazu müssen wir zum Beispiel geeignete Löt- und Klebersysteme, Verfahren und Substrate finden“, schildert der verantwortliche Ingenieur im Unternehmen Danny Horn.
Die KSG ist einer der größten europäischen Leiterplattenfertiger. Das Unternehmen beliefert weltweit Kunden der Elektronikindustrie mit Schaltungsträgern. Jährlich verarbeiten die Gornsdorfer mehr als 380.000 m² Basismaterial. Das Unternehmen bringt seine jahrzehntelange Expertise im Umgang mit glasfaserverstärkten Kunststoffen in das Projekt ein. Ralph Fiehler, Prokurist und Leiter Entwicklung dazu: „Wir wollen die Entwicklung von intelligenten Verbundwerkstoffen für neue Anwendungsfelder vorantreiben. Möglicherweise können wir im regionalen Technologieverbund Schlüsseltechnologien für eine neue Art von dreidimensionalen und vielseitig einsetzbaren Leiterplatten mitentwickeln. Wir erhoffen uns zusätzlich Rückschlüsse auf technologische Möglichkeiten, um mit komplizierten Materialen zu arbeiten.“