19.12.2023
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Jahresrückblick 2023: Krisen, Kriege und kein Ende

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Lesedauer: 7 Minuten.

Auch im auslaufenden Jahr arbeitet die europäische Kunststoffindustrie im Ausnahmezustand. Nachfrageeinbrüche und Billig-Importe setzen die Polymererzeuger unter Druck. Gleichzeitig machen immer neue Vorschriften den Erzeugern und Verarbeitern das Leben schwer. Eine kurze Bestandsaufnahme.

Die europäische Kunststoffindustrie blickt auf ein schwieriges Jahr zurück. In vielen Abnahmebereichen brach die Nachfrage massiv ein, und die daraus resultierenden Umsatzeinbußen drückten auf die Erträge der Branchenakteure. Die Unternehmen reagierten mit empfindlichen Sparmaßnahmen, bei denen insbesondere Werke in Deutschland aufgrund der hohen Energie- und Produktionskosten in den Fokus gerieten.

Auch 2024 gilt: Planung ist das halbe Leben (Foto: KI)

Auch 2024 gilt: Planung ist das halbe Leben (Foto: KI)

International agierende Kunststoffverarbeiter wie Autoliv, Plastic Omnium, Deceuninck, Pipelife oder auch Recyclingunternehmen wie Veolia schlossen Standorte in Deutschland oder kündigten entsprechende Schritte an. In Deutschland selbst stieg die Zahl der Firmenpleiten. Besonders betroffen waren Automotive-Zulieferer wie Ditter, Kamei und Philippine Technische Teile.Es traf aber auch auf die Kunststoffbranche ausgerichtete Maschinenbauer wie Kautex.

Marktschwäche befeuert M&A-Aktivitäten

Den Nachfrageeinbruch bekamen auch die Kunststofferzeuger zu spüren. Europäische Anlagen liefen oft auf ein Minimum gedrosselt. Zudem wurden einige Kapazitäten, die ohnehin gegenüber der Konkurrenz aus Asien und Nordamerika nicht mehr konkurrenzfähig waren, komplett aus dem Markt genommen. So schloss Trinseo eine PC-Linie in Stade und verkündete das Aus für die Styrol-Produktion in Terneuzen / Belgien. LyondellBasell will die PP-Erzeugung in Brindisi / Italien zum Jahresende einstellen, und auf der Kippe steht auch die PET-Anlage von JBF in Geel / Belgien. Passend dazu kündigte Ineos das endgültige Ende der ohnehin schon ruhenden PTA-Produktion in Geel an. Celanese plant die Schließung der PA 6.6-Polymerisation in Hamm-Uentrop.

Ein Drittel der italienischen Polypropylen-Kapazität von LyondellBasell geht vom Netz (Foto: LyondellBasell)

Das Marktgeschehen befeuerte aber auch die M&A-Ambitionen von Unternehmen. Besonders rege zeigt sich diesbezüglich der arabische Staatskonzern Adnoc, der mit Covestro und Braskem gleich zwei Kunststofferzeuger ins Visier genommen hat. Unter den Verarbeitern sorgte das Übernahmegerangel um den finnischen Rohrhersteller Uponor für Aufsehen, bei dem Georg Fischer den belgischen Mitbieter Aliaxis letztlich ausgestochen hat.

Droht die De-Industrialisierung Europas?

Kurzum: Europas Polymer-Erzeugung steht unter Druck: von innen mit hohen Energiepreisen und schwacher Nachfrage und von außen mit einer Flut günstiger Importe. Noch nie war innerhalb eines Jahres so häufig die Rede von „dramatischen Standortnachteilen für Deutschland“ (Dr. Ralf Düssel, Chef von Plastics Europe Deutschland) oder der „De-Industrialisierung Europas“ (Dr. Markus Steilemann, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie VCI). Der politisch gewollte und durch entsprechende Quotenvorgaben forcierte Einsatz von Rezyklaten wurde im vergangenen Jahr von meist asiatischen Neuwaren-Billigimporten konterkariert. Deren Preise fielen innerhalb von nicht einmal zwölf Monaten um bis zu 50 Prozent.

„Wir befinden uns mitten in einem tiefen, langen Tal“ beschrieb VCI-Präsident Dr. Markus Steilemann (links) die düstere Lage der Chemiebranche zum Jahresende 2023 (Foto: KI)

Dass bisher nicht erheblich mehr Insolvenzen die Kunststoffbranche erschütterten, kann nur mit viel Glück erklärt werden. Die einzigen, denen diese Schwäche kleiner und mittelgroßer Unternehmen in die Karten spielt, sind die Erzeuger, die auf ihrer Seite des Tischs verzweifelt versuchen, die kommenden Rezyklatvorgaben umzusetzen und an Recyclern und Compoundeuren kaufen, was nicht niet- und nagelfest ist.

In den USA nimmt der „Plasticscepticism“ zu

Europa versucht inzwischen gegenzusteuern – zumindest bei den Basispolymeren: Es mehren sich die Handelssanktionen in Form von Anti-Dumping-Verfahren und Strafzöllen. Beispiele waren in diesem Jahr vor allem PET und PVC, bei denen sich die Situation zuspitzte. Anlagendrosselungen bis an die Schmerzgrenze bei PVC und Abstellungen bei PET sind noch immer an der Tagesordnung. Besserung ist mit Blick auf 2024 kaum in Sicht. Eher im Gegenteil: Günstige Importe aus den USA und aus Asien in großem Umfang – bei PET muss von einer glatten Verdoppelung ausgegangen werden – bringen noch mehr Druck auf den Kessel.

Dabei geht es nicht nur in Europa ans Eingemachte, auch auf der anderen Seite des Großen Teichs mehren sich die Schwierigkeiten der Erzeuger – wenngleich aus anderem Grund: Dort will eine schärfere Umweltgesetzgebung im Verein mit mehr Gerechtigkeit für Afro-Amerikaner und Latinos der Industrie das Leben schwerer machen. Dass diese dagegenhält, dürfte wenig verwundern – ebenso wenig, dass der Ton zuletzt erheblich schärfer geworden ist und das Land wieder einmal in zwei Lager teilt. Dabei ist noch nicht einmal eingerechnet, dass US-Präsident Joe Biden sich zu Jahresbeginn gewünscht hatte, in 20 Jahren nur noch Kunststoffe auf Biobasis sehen zu wollen.

Verpackungssektor meldet rückläufigen Umsatz

Auch die Hersteller von Kunststoffverpackungen – nach dem Baugewerbe die zweitgrößte Verarbeitergruppe in Deutschland – litten in diesem Jahr unter der schwachen Nachfrage. So ging ihr Umsatz im ersten Halbjahr um 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück, wie die IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen berichtete. Neben der Kaufzurückhaltung des Einzelhandels waren dafür auch die starken Absatzeinbrüche wichtiger Abnehmerbranchen wie etwa der chemischen Industrie verantwortlich.

Nachfragedelle auch bei den Industrieverpackungen (Foto: Pexels / Markus Spiske)

Das schwierige Tagesgeschäft ist das eine, die Nachhaltigkeitstransformation das andere. Sie stellt die Verpackungshersteller vor noch größere Herausforderungen. Eine nie dagewesene Flut an regulatorischen Vorgaben sorgte in diesem Jahr 2023 zunehmend für Verunsicherung. Beispiel: die Novelle des Verpackungsgesetzes (VerpackG). Damit sollen überflüssige Verpackungen vermieden werden. Hinter die Wirksamkeit der Regelung muss jedoch ein Fragezeichen gesetzt werden. Das seit dem 1. Januar 2023 verpflichtende Mehrwegangebot für Speisen und Getränke „To-Go“ soll auf alle Materialien ausgeweitet werden – bisher muss nur zu Einwegverpackungen aus Kunststoff eine Mehrwegalternative angeboten werden. Ausgang? Noch offen.

VerpackG, EWKFondsG – wer blickt da noch durch?

Auf der Zielgeraden befindet sich das Einwegkunststoff-Fondsgesetz (EWKFondsG): Hersteller von bestimmten Einwegprodukten aus Kunststoff, wie Take-away-Verpackungen, Getränkebechern oder Tabakerzeugnissen, sollen künftig an den Kosten für die Entsorgung von Abfällen im öffentlichen Raum beteiligt werden. Vom 1. Januar 2024 an wird es ernst. Doch voraussichtlich erst im April 2024 wird das Umweltbundesamt seine digitale Plattform eingerichtet haben, auf der sich die Hersteller und Inverkehrbringer dann registrieren müssen. Simple Verfahren sehen anders aus.

Das Meisterstück ist die EU-Verpackungsverordnung (PPWR), die derzeit noch auf EU-Ebene verhandelt und mit deren Verabschiedung Mitte kommenden Jahres gerechnet wird. Sollten die Vorgaben des Entwurfs in Kraft gesetzt werden, hat dies weitreichende Auswirkungen auf die europäische Verpackungslandschaft. Unter anderem würden die grundlegenden Anforderungen an Verpackungen verschärft, damit diese wiederverwendet und -verwertet werden können. Auch der Rezyklatanteil soll steigen. Im Raum stehen zudem strikte „Verbote“ von kritischen Substanzen in Verpackungen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen.

Christian Preiser
Christian PreiserChefredakteur KI - Kunststoff Information

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