Die Kunststoff verarbeitende Industrie in Deutschland ist im ersten Halbjahr um 13,3 % auf einen Umsatz von 39,6 Mrd. EUR gewachsen. Die einzelnen Sparten entwickelten sich dabei sehr unterschiedlich. Kostensteigerungen und ein Produktionsrückgang belasteten das Ergebnis, multiple Krisen den Ausblick, so das Resümee des Branchenverbands GKV/Tecpart. Verbandsgeschäftsführer Michael Weigelt fordert, die Rückzahlungsmodalitäten der Corona-Kredite zu strecken, um liquiditätsschwache Unternehmen zu stützen.
Die Umsatzsteigerung auf 39,6 Mrd. EUR wurde wesentlich getrieben durch die Kostensteigerungen bei Material, Energie, Transport und Personal. Trotz des Produktionsrückgangs um 2 % wurden in der Kunststoffverarbeitung 324.000 Menschen beschäftigt, das sind 1,4 % mehr als noch zu Jahresbeginn.
Die Bauprodukte führen das Quartett der Kunststoffsparten mit 13,7 Mrd. EUR Umsatz und einer Steigerung um 18,1 % an, gefolgt von den Technischen Teilen mit 10,2 Mrd. EUR und einem vergleichsweise schwachen Umsatzplus von 6,2 %. Den stärksten Umsatzzuwachs verzeichneten die Packmittelproduzenten mit einem Plus von 18,6 % auf rund 9,5 Mrd. EUR. Das kleinste Segment, die Kunststoff-Konsumprodukte, wuchsen um 8,2 % auf 6,2 Mrd. EUR. Der Exportanteil der Kunststoffprodukte liegt bei knapp 40 % und wuchs um rund einen Prozentpunkt.
Die Steigerungen der Kosten für Transport, Personal, Energie und Material konnten bei den materialintensiven Branchen Bau und Verpackung am besten weitergegeben werden, berichtet GKV/TecPart. Bei den Herstellern von technischen Teilen sehe das Bild anders aus. Allein die Materialkosten für technische Kunststoffe seien nach dem Preisindex „Plastixx TT“ von KI – Kunststoff Information seit Jahresanfang um 9,6 % gestiegen, der Umsatz der Sparte jedoch nur um 6,2 %.
Die Stimmung bei den Herstellern technischer Teile ist nach Analyse von GKV/TecPart – wenig überraschend – besonders belastet. Viele Unternehmen der Zulieferindustrie berichteten von der mangelnden Bereitschaft der Abnehmer, Kostensteigerungen gemeinsam zu tragen, und das bei steigenden Gewinnen aufseiten der Endkunden. „Vielen Kunden ist nicht klar, was derzeit mit der Zuliefersubstanz passiert“, so Michael Weigelt, Geschäftsführer von GKV/TecPart, „die deutlich verzögerten und unzureichenden Preisanpassungen treffen auf reduzierte Abnahmen, was für Serienprozesse sämtliche Kalkulationen aus den Fugen hebt.“ Der Stromkostenanteil in den Produktkosten habe sich von einem Korridor von 4 bis 10 % seit Jahresbeginn verdoppelt. Die verstärkte Produktion von Premiumfahrzeugen (+6,2 %) sei im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nach den Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts zulasten der volumenstarken, aber margenschwächeren Mittelklasse- und Kleinwagen (–16 bis –21 %) gegangen.
„Wenn dieser Trend der Ergebnisschmälerung nicht gebrochen wird, ist davon auszugehen, dass mit dem Rückzahlungsdruck der Corona-Darlehen im kommenden Jahr einige Unternehmen nicht mehr über die notwendige Liquidität verfügen“, berichtet Weigelt die Sorgen seiner Branche. „Viele Kunststoffverarbeiter aus der Mitgliedschaft ebenso wie aus den Branchen der Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie (ArGeZ) berichten bereits heute, dass die Warenkreditversicherungen die Limits der Kunden herabsetzen und somit im Falle der liquiditätsfördernden Factoring-Maßnahmen die Mittel nicht mehr vollumfänglich fließen.“
Michael Weigelt appelliert daher, die Rückzahlungsmodalitäten der Corona-Kredite zu strecken, um die Unternehmen, die vor zwei Jahren mit diesen Geldern gerettet wurden, nicht bei der Rückzahlung zu verlieren. „Es war schließlich nicht davon auszugehen, dass die Corona-Krise, die Chip-Krise mit ihren gestörten Lieferketten und dann der Ukraine-Krieg mit den stark gestiegenen Energie- und Materialkosten die Zulieferbranche in diesem Umfang belastet.” Zudem fordert die ArGeZ ein effektives und sofortiges politisches Eingreifen, etwa durch die Einführung eines Industriestrompreises. Dies würde zwar nicht alle Probleme lösen, jedoch sei es mittlerweile für viele Klein- und Mittelständler existenziell.
Mit rund 322.000 Beschäftigten in 3.000 Unternehmen erwirtschaftet die Kunststoffverarbeitung in Deutschland einen jährlichen Umsatz von ca. 70 Mrd. EUR. Der GKV/TecPart – Verband Technische Kunststoff-Produkte e.V. ist die Interessenvertretung für die rund 900 Hersteller von technischen Kunststoff-Produkten. Von den 900 Unternehmen, die rund 100.000 Mitarbeiter beschäftigen und einen Umsatz von jährlich 18,6 Mrd. EUR erwirtschaften, sind bei GKV/TecPart rund 140 organisiert.